Dokumentarfilme International
D 2017 • 81 Min. • engl.OmdtU • Regie: Claus Withopf
Anne Clark entzieht sich Kategorien und Klischees. Sie selbst sieht sich als Lyrikerin und Spoken-Word-Künstlerin. Weltweit wird sie als Pionierin der elektronischen Musik und des New Wave gefeiert und gilt vielen sogar als Wegbereiterin des Techno. Bereits die ersten Single-Auskopplungen gerieten zu Klassikern und beeinflussten Generationen von Musikern. Ungeachtet ihres Kultstatus ist Clark eine nahbare und sympathische Person geblieben, die hier einen tiefen Einblick in ihre Arbeitsweise gibt und sich mit großer Klarheit auch zu gesellschaftspolitischen Themen äußert. Der Film verwebt die Gespräche mit Archivaufnahmen und Konzertmitschnitten und stellt mit grafischen Mitteln immer wieder die Sprache selbst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt ist er ein schönes Plädoyer dafür, sich weder persönlich noch künstlerisch verbiegen zu lassen. Luc-Carolin Ziemann - DOK Leipzig 2017
D 2017 • 90 Min. • Regie: David Spaeth
Bastian, in der DDR aufgewachsen, Vater eines behinderten Sohnes, giert sehnsüchtig nach dem scheinbar so unbeschwerten Lebensstil der Münchner Eltern. Er will seinen Sohn in einer traditionsreichen Elterninitiative mitten in München-Schwabing unterbringen. Bastian beschließt hochzustapeln. Er ändert seine Identität, um seinem Glück nachzuhelfen. Und es funktioniert! Mit hochgestylter Biographie und einem Inklusionskind wird er in die schicke und privat finanzierte Institution aufgenommen. Als er feststellt, dass auf dem Kinderhauskonto weit über eine viertel Million schlummert, baut er den anfänglichen Betrug auf abenteuerliche Weise aus. Er wird perfekter Vater, treuer Helfer, Karrierist, Finanzvorstand. Bis die Bombe platzt. Eröffnungsfilm DOK Leipzig 2017!
D 2017 • 97 Min. • Regie: Helena Wittmann
Zwei Freundinnen verbringen ein Wochenende an der Nordsee. Sie gehen am Strand spazieren, essen Fischbrötchen und checken ihre Wetter-Apps. Himmel, Horizont, Wasser. Bald wird die eine zu ihrer Familie nach Argentinien zurückkehren und die andere versuchen, dem Ozean ein Stück näher zu kommen. Sie reist in die Karibik, und auf einem Segelschiff überquert sie den Atlantik. Eine Welle folgt der anderen, jede ist anders. Die Gedanken geraten auf Abwege, die Zeit verliert ihre Ordnung – und das Meer übernimmt die Erzählung. Helena Wittmanns sinnliche Meditation feierte Weltpremiere auf der „72. Settimana Internazionale della Critica” während der Filmfestspiele in Venedig.
B / CHI 2017 • 87 Min. • span.OmeU • Regie: Andrés Lübbert
„Du bist dein ganzes Leben vor deiner Vergangenheit davongelaufen.“ Ein junger Mann auf den Spuren der Biografie seines Vaters. Mittlerweile Kameramann in Kriegsgebieten, floh Jorge Lübbert vor den Schergen der Diktatur in Chile in die DDR. Sein Sohn Andrés kennt ihn als Mann mit einer undurchsichtigen Fassade, hinter der er dunkle Erinnerungen erahnt. Was ist damals in Chile geschehen? Wieso steht in den Stasi-Akten, dass Jorge für den Geheimdienst der chilenischen Diktatur, die DINA, arbeitete? Sie begeben sich auf eine gemeinsame und schmerzhafte Reise in die Vergangenheit, nach Berlin und Chile. Vor der Handkamera des Sohnes entfaltet sich eine Geschichte, die schockierend und unglaublich ist und die beiden auf berührende Weise einander näher bringt. Samay Claro
D / BRA 2017 • 105 Min. • OmdtU • Regie: Hank Levine
Laut UNHCR sind aktuell über 200 Millionen Menschen auf der Flucht. Flüchtlinge sind ein globales Phänomen, die geopolitischen Hintergründe komplex. „Exodus“ erzählt die Geschichten hinter den Statistiken und begleitet über einen Zeitraum von rund zwei Jahren fünf Protagonisten aus vier Erdteilen auf ihrer Odyssee. Dabei sind die einen noch unterwegs und kommen nicht zur Ruhe, die anderen sind aufgenommen im Lager oder Heim als transitorischem Ort, oder schon angekommen in einem unbekannten Land. Die anderen kehren nach Jahrzehnten zurück in ihre ehemalige Heimat, die nicht mehr dieselbe ist. Mit ihnen erlebt der Zuschauer die ungeheure Anpassungsfähigkeit von Menschen in Ausnahmesituationen, aber auch ihre Kraft, mit der sie ihrem Schicksal begegnen.
USA 2017 • 89 Min. • OmdtU • Regie: Jeremy S. Levine & Landon Van Soest
Daje ist 17 Jahre alt, so widerspenstig und verträumt wie ihre Altersgenossinnen anderswo auf der Welt. Wie ernst es um ihre Zukunft steht, das ahnt man zwar, als Daje mit ihrer Mutter zum Jugendrichter muss, weil sie wegen Aufsässigkeit von der Schule geflogen ist und nur noch eine Chance bekommt. Doch wirklich begreifen lässt sich ihre Situation erst allmählich: wenn man auf ihrem Schulheft die vielen Namen von ihren Freunden sieht, mit dem Kuli gekritzelt – dahinter ein R.I.P. und ein frisches Datum. „For Ahkeem“ erforscht den Kosmos einer jungen schwarzen Frau in St. Louis, Missouri. Aus einer strikt persönlichen Sicht erzählt der Film von ihrem Aufwachsen im heutigen US-Amerika, von den für sie vorgezeichneten Wegen, den verrammelte Backsteinhäuser säumen. Forum Berlinale 2017
GB / IRL / D 2017 • 115 Min. • OmdtU • Regie: Sophie Fiennes
Sophie Fiennes‘ Film ist kein Rockumentary im klassischen Sinne, in dem die Geschichte von Aufstieg und Ruhm einer Rock-Celebrity als chronologischer Entwicklungsroman beschrieben wird. Fiennes verzichtet auf Archivmaterial und entwickelt „Grace Jones“ als Konzertfilm mit Reportage-Strecken, in denen die titelgebende Heroine bei Reisen in ihre Heimat Jamaika oder auf Tournee in Hotelzimmern Einblicke in ihren Alltag gewährt. Höhepunkte des Films sind allerdings jene Szenen, in denen die Urmutter aller Queer- und Transgender-Ästhetiken in surrealen Outfits herrisch über die Bühne stolziert und im Stroboskopgewitter den Taktstock schwingt: „Slave to the Rhythm!“ Viennale 2017
D 2016 • 98 Min. • Regie: Philipp Hartmann
Ein Film über Programmkinos und ihre Betreiber. Während der Kinoauswertung seines Films „Die Zeit vergeht wie ein brüllender Löwe“ (bei Stranger Than Fiction 2014) reiste Philipp Hartmann quer durch die Republik und filmte dabei 66 Spielstätten und ihre Besitzer. Von manchen der Kinos sieht man nur die Außenfassade, bei anderen kommen Kinobetreiber und Programmmacher ausführlicher zu Wort, in insgesamt 30 Kinos erzählen sie vom Zustand einer Branche in Zeiten des Wandels. Aus dem Material entstand ein ebenso persönliches wie sentimentales, unterhaltsames wie erhellendes Porträt der Off-Kinolandschaft in Deutschland. Zugleich ist sein Film eine Hommage an jene Menschen, die diese Form der Kinokultur überhaupt möglich machen. Weltpremiere auf der Viennale 2016!
USA 2016 • 74 Min. • engl.OF • Regie: Carrie Lozano & Charlotte Lagarde
Ein intimes Porträt über Fred Hersch, der mit mehr als 30 Alben und 8 Grammy-Nominierungen als Meister der Improvisation unter den Jazz-Giganten gilt. „Die Zeit“ findet, er sei „der vielleicht durchdringendste, klarste, intelligenteste und radikalste Klaviervirtuose des modernen Jazz. Niemand öffnet sein Innenleben am Klavier schonungsloser als der bald 62-Jährige.“ Dass er dennoch lange Zeit den Ruf besaß, unnahbar, schwierig und abweisend zu sein, lag an seinem Sonderstatus. Denn Hersch ist schwul – der erste namhafte Jazzpianist, der sich öffentlich dazu bekannte – und HIV-positiv. Und einmal war Hersch schon dort, von wo nur wenige zurückkehren. 2008 lag der Jazzpianist wegen akuten Nierenversagens im Koma. Sieben Wochen dauerte dieser Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Dann erwachte er wieder und musste aufs Neue lernen, wie man seine Finger über die 88 Tasten bewegt.
A 2016 • 82 Min. • Regie: Angela Christlieb
Der Künstler Liam Gillick hat sie nicht gesehen. Auch Regisseur John Waters weiß nicht, wo sie geblieben sind. Der Filmemacher Tony Conrad hat zwar so seine Theorien, verrät diese aber nicht. Verschwunden sind nämlich die vier Mitglieder der österreichischen Künstlergruppe Gelitin. Das Quartett wurde bekannt mit ebenso grenzgängerischen wie bildstarken Performances, Skulpturen, Installationen und Fotoarbeiten. Salvatore Viviano, Künstler, Galerist und zeitweilig Mitwirkender in Gelitin-Performances, begibt sich auf die Suche nach der lustigsten Boy Group der Welt, befragt Künstler, Galeristen, Museumsleute, stets ein imposantes Mikrofon in der Hand, nach ihrem Verbleib. Das alles wird mit anarchisch montiertem Gelitin-Archivmaterial verknüpft: intensiv, transgressiv, experimentell, grellbunt, witzig und virulent.